Mentalkraft als Treiber für gesundes Arbeiten

Im Gespräch mit dem langjährigen Weggefährte des Dalai Lama: Diego Hangartner.

Bereits in seiner Kindheit faszinierte ihn die Frage, was Realität und Bewusstsein sind und was ein gesunder Geist ausmacht. Nach dem Pharmaziestudium an der ETH Zürich arbeitete er über ein Jahrzehnt in Dharamsala, studierte Tibetisch, lernte und lehrte Meditation und dolmetschte für verschiedene Lamas. Nach der Rückkehr nach Europa organisierte er verschiedene Europa-Auftritte des Dalai Lama und beteiligte sich an zahlreichen neurowissenschaftlichen Forschungsprojekten. Er wirkt seit den 1990er Jahren im Mind of Life Institute USA und später Europe und gründete 2015 das Institute of Mental Balance and Universal Ethics (IMBUE), dessen Ziel es ist, den Menschen zu mentaler Ausgeglichenheit zu verhelfen.


Heute treffen wir Diego zu einem Gespräch zum Thema Arbeit und Gesundheit in Luzern und gehen unter anderem der Frage nach, welche Rolle mentale Prozesse im Stressmanagement spielen und was Führungskräfte und gesamte Organisationen für ein gesundes Arbeitsumfeld tun können.

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Diego Hangartner

Heute sprechen wir mit Diego über das Thema Arbeit und Gesundheit und gehen unter anderem der Frage nach, welche Rolle mentale Prozesse im Stressmanagement spielen und was Führungskräfte und Team für ein gesundes Arbeitsumfeld tun können.

Was siehst du als die grössten Herausforderungen der Menschen im Arbeitsleben?

Diego Hangartner: Da gibt es gegenwärtig tatsächlich viele. Der Umgang mit Stress ist sicher eine der grössten Herausforderungen. Ein Faktor der Stress auslösen kann ist neben der Arbeitsintensität auch die zunehmende Isolation. Isolation wird durch das Gefühl ausgelöst, nicht verstanden zu werden, sich nicht mit anderen verbunden zu fühlen oder nicht im Austausch mit der Aussenwelt zu stehen. Das löst dann wiederum Stress aus. Auch Kommunikation ist ein herausforderndes Thema, gerade in digitalisierten Geschäftsbereichen oder wegen Zeitnot bleibt für angemessener Austausch oder echtes Zuhören oft keinen Raum, was wiederum die Isolation verschärfen kann und so die Entstehung von Stress begünstigt.

Welche gesamtgesellschaftlichen Trends wirken hier weiter darauf ein, dass Arbeit zum Gesundheitsrisiko werden kann?

Systemisch sehe ich das Problem, dass wir uns in einem wirtschaftlichen Umfeld bewegen, in dem mehr Druck, mehr Aktion, mehr Leistung gefordert wird, aber Erholungsphasen kaum Platz finden. Mit Erholungsphasen meine ich nicht Ausgleichsaktivitäten wie Sport, sondern dass man es schafft, den Geist von der Arbeit zu entkoppeln. Diese Entkoppelung geschieht vor allem auf der mentalen Ebene: Bin ich beispielsweise in der Lage ein Problem an der Arbeit nach Feierabend loszulassen oder trage ich die Belastung nach Hause und beschäftige meinen Geist weiter damit und löse damit belastende Emotionen aus? Im Arbeitsumfeld sehe ich also als Hauptherausforderung zu lernen, mit diesen mentalen und emotionalen Prozessen besser umzugehen.

Du sprichst ein wichtiges Thema: Lernen mit Belastungen umzugehen oder in anderen Worten, ein gutes Stressmanagement. Wie kann es gelingen, mentale und emotionale Prozesse so zu steuern, dass man eben nicht in die Stressfalle tappt?

Jeder und jede Einzelne kann für sich daran arbeiten, es geht vor allem darum, die eigenen Muster und Erwartungshaltungen kennenzulernen und zu prüfen, wann belastende Gedanken oder Emotionen auftauchen die dann zu Stressreaktionen führen. Grundsätzlich soll man herausfinden, welche Situationen Unbehagen auslösen und wie man mit Gefühlen von Überforderung, Versagens- oder Verlustängsten oder Ähnlichem umgeht. Ein gelungenes Stressmanagement hat auch damit zu tun, dass Menschen Klarheit schaffen und es ihnen gelingt, zwischen Reiz und Reaktion eine Pause zu schaffen und so aus dem reaktiven Auto-Pilot Modus aussteigen können. Im Grunde können wir unsere Antwort auf Herausforderungen oder Reize wählen und uns durch geschickte Wahl der Antwort viel Stress ersparen.

Geht es letzten Endes im Stressmanagement auch darum, sich und seine Triggerpunkte besser kennenzulernen?

Genau. Eigene mentale und emotionale Prozesse zu kennen geht einher mit dem Kennenlernen der Triggerpunkte und der Fähigkeit, diese dann angemessen zu lenken. Das Kennenlernen von eigenen Prozessen ist eine mutige Aktion, viele schrecken davor zurück, hier hinzuschauen. Zentral ist auch die Frage nach der eigenen Verbundenheit, Verbundenheit mit Mitmenschen und mit der Umwelt. Wenn hier viele Beurteilungen im Spiel sind und jemand häufig Bedrohung wittert, dann ist meist ein hinderlicher mentaler Prozess im Spiel, die eher mit der Person, als mit der Umwelt zu tun hat. Das kann mit einem traumatischen Erlebnis wie etwa dem Verlust einer nahestehenden Person zu tun haben, das einmalig ist. Die gefährlicheren – da oft unbewusst – und schwierigen Traumas sind aber diejenigen, die sich dauernd wiederholen, beispielsweise die Annahme, dass wir zu wenig gut sind, zu wenig leisten oder grundsätzlich etwas falsch an uns ist. Das macht Menschen wirklich fertig und verursacht ungeahnt Dauerstress. Solche Annahmen können zu einem immer wiederkehrenden inneren Dialog führen und schlimme Folgen auf die mentale Gesundheit haben. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Treibern, den mentale und emotionalen Mustern die einem herausfordern, ist also sehr wichtig für ein gelassenes Leben.

Welche konkreten Werkzeuge helfen hier, diese Muster besser zu durchleuchten?

Meditation ist hier ein sehr wirkungsvolles Instrument. Meditation bedeutet, ein beabsichtigtes vertraut machen mit mentalen Prozessen und die Kultivierung von positiven Eigenschaften. Es geht in der Meditation darum, kennenzulernen was der Geist macht und immer wieder auszuloten, wo der Geist steht und aus diesen Erkenntnissen heraus positive Eigenschaften kultivieren.

Meditation ist also ein geeignetes Werkzeug um stressverschärfende mentale und emotionale Prozesse besser zu meistern. Welche positiven Effekte kann Meditationen sonst noch auf Arbeitsoutcomes haben?

Ein unruhiger Geist hat vielerlei negative Auswirkungen, so zum Beispiel auch auf die Arbeitsleistung. Mit unruhigem Geist ist es beispielsweise schwierig, fokussiert an einer Arbeit zu bleiben und effizient und lösungsorientiert zum Ziel zu gelangen. Innere Klarheit zu schaffen und den Geist zu beruhigen ist also eine lohnende Investition.

Wie gelingt es, einen ruhigen Geist im Alltag zu kultivieren?

Einen ruhigen Geist zu kultivieren braucht viel Übung, etwa indem man regelmässig meditiert. Die grösste Herausforderung in unserer schnelllebigen Zeit ist es, es wirklich zu machen, es täglich zu üben. Sehr oft ist der Faktor Zeit entscheidend. Die tägliche Arbeitslast suggeriert uns oft, dass gerade etwas anderes wichtiger ist und die Tage sind häufig engmaschig durchgetaktet. Oft ist es uns nicht bewusst und wir funktionieren einfach am Arbeitsplatz, folgen emotionalen Reizen und versuchen einfach, alles in den Tag zu packen. Es ist also entscheidend, sich auf diesen Prozess einzulassen und dem Selbstmanagement auch Priorität zu geben. Es geht darum eine Art Self-Leadership zu entwickeln und sich bewusst daran zu machen, innere Prozess steuern zu wollen. Schon in der Schule geht es darum Daten zu reproduzieren wir werden klassischerweise daran gemessen, wie gut wir Daten reproduzieren können. Aber wenn wir in der Lage sind, Emotionen besser zu lenken und einen ruhigen Geist zu bewahren, eine innere Haltung zu kultivieren und präsent zu bleiben, gibt uns das eine enorme Power um gesund und erfolgreich zu sein, da dies kraftvolle Selbstmanagement-Kompetenzen sind die uns echt weiterbringen.

Wie kann eine Betriebskultur konkret dazu beitragen, das Selbstmanagement von Mitarbeitenden zu unterstützen?

Führungskräfte haben die Möglichkeit, Selbstmanagement durch ihren Führungsstil anzuregen. Eine Führungskraft die vor allem Aufträge erteilt und Mitarbeitende als ausführende Organe sieht, trägt wenig dazu bei, dass Mitarbeitende Selbstmanagement-Kompetenzen aufbauen können. Fragt eine Führungsperson jedoch nur nach wo Unterstützung gebraucht wird und fordert Mitarbeitende zur Selbstverantwortung auf, kann diese Kompetenz besser aufgebaut werden. Auch hier ist Vertrauen und gute Kommunikation wichtig, es braucht also die Fähigkeit von Führungskräften Kontrolle abzugeben, den Mitarbeitenden zu vertrauen und klar zu kommunizieren. Mitarbeitende zum Selbstmanagement anzuregen kann auch viel zu deren Motivation beitragen.

Stressbedingte Krankheiten verursachen neben dem individuellen Leid der Betroffenen auch hohe Kosten für Organisationen. Ist Stress also ein Thema das auch auf Organisationsebene angegangen werden soll?

In der Tat ist Stress nicht nur für Individuen ein Problem, sondern verursacht auch bei Organisationen viele Druckpunkte. Hohe Kosten entstehen nicht nur durch krankheitsbedingte Ausfälle und Produktivitätsverluste, Stress führt auch oft zu Unzufriedenheit am Arbeitsplatz und kann so die Fluktuation begünstigen oder zur Resignation von Mitarbeitenden führen. Gute Mitarbeitende zu finden und zu behalten ist heute eine Herausforderung und Organisation tun angesichts der vielfältigen Risiken und Kosten gut daran, das Thema Stressmanagement in ihrer Belegschaft anzugehen.

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Was sind wichtige Rahmenbedingungen in Organisationen, damit die Menschen gesund bleiben?

Hier kommen wir wiederum auf die Führungskräfte zu sprechen, die hier eine wichtige Funktion haben. Es sollte Führungskräften bewusst sein, dass sie in ihrer Rolle vielerlei Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit von Mitarbeitenden haben. Gezielte Führungskräfte-Schulungen machen hier Sinn, auch um Sensibilität dafür schaffen, weshalb ihre Rolle als Führungsperson im Bereich Wohlbefinden und Gesundheit so wichtig ist. Es gibt bereits gut erforschte Trainingswerkzeuge, wie Führungskräfte beispielsweise die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden stärken können.

Ist es auch eine Aufgabe der Führungspersonen, für gute Teamdynamik zu sorgen?

Ja, hier können Führungskräfte ebenfalls Einfluss nehmen. Gut funktionierende Teams können eine gesundheitliche Ressource darstellen, da Zusammenhalt und Unterstützung gesundheitsförderlich wirken und Stress abpuffern, während schlechte Beziehungen in Teams toxisch wirken können.

Was ratest Du Teams die an sich arbeiten möchten um den Umgang miteinander zu verbessern?

Es ist vor allem in der westlichen Welt nicht mehr genug, Mitarbeitende über monetäre Anreize zu halten. Die meisten Menschen arbeiten zurecht nicht nur des Geldes wegen, der tiefere Sinn der Arbeit wird zunehmend wichtig. Die Sinnhaftigkeit der Arbeit kann entweder vom Unternehmen vermittelt werden oder die Menschen im Unternehmen finden selber einen Sinn in ihrer Tätigkeit. Die Sinnfrage ist ein urmenschliches Bedürfnis. Etwas zu tun was die Passion berührt, Enthusiasmus auslöst oder einen Beitrag für die Gemeinschaft darstellt oder Verbundenheit entstehen lässt. Wenn die Sinnhaftigkeit im Unternehmen nicht klar ist, kann das das Stresserleben begünstigen. Es ist klar, dass ein Unternehmen sich durch den Unternehmenszweck selbst erhalten will, aber darüber hinaus ist es wichtig, dass die Menschen im Betrieb den übergeordneten Sinn spüren. Das ist dann ein Thema der Betriebskultur.

Und zum Schluss: Du hast dich jahrzehntelang mit der buddhistischen Lehre befasst. Wie kann die buddhistische Lehre helfen, die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt einzuordnen?

Hier kann man Aspekte der so genannten vier Edlen Wahrheiten beiziehen die sich mit verschiedenen Arten des Leidens befassen. Die erste Wahrheit besagt, dass es Leid des Leiden wegen gibt, das wäre also das Leid das entsteht, wenn beispielsweise eine Firma Konkurs geht oder jemand aufgrund von Rationalisierung den Job verliert und Mühe hat einen neuen zu finden. Die zweite Wahrheit besagt, dass Leid dadurch entsteht, dass Veränderung oder Vergänglichkeit abgelehnt wird. Stetige Veränderung ist ein Naturgesetz und dies nicht anzuerkennen lässt Leid entstehen. Gerade im heutigen volatilen wirtschaftlichen Umfeld ist es gefährlich, den Anspruch zu haben, dass alles bleiben soll wie es ist. Re-Organisation ist eigentlich ein nie aufhörender Prozess, es gibt nie Stillstand, das dagegen ankämpfen verursacht Leid. Als dritte Wahrheit über Leiden schlägt der Buddhismus vor, dass Leid aus Verblendung und Unwissenheit im Sinne von falschen Annahmen entsteht. Es lohnt sich also für Organisationen, Möglichkeiten offenzulassen um besser mit Unsicherheiten umgehen zu können. Moderne Ökonomische Modelle gehen nicht mehr vom homo oeconomicus aus und ziehen mit ein, dass es viele Faktoren gibt, die nicht ökonomisch und rational funktionieren, die wir nicht kennen. Unternehmenskulturen müssen raus aus der Reaktivität und Zurückhaltung lernen. Wenn Veränderung in der Luft liegt lohnt es sich bewusst wahrzunehmen und erst mal Distanz zu schaffen zwischen Reiz und Reaktion und dann die im Moment beste Lösung zu wählen – die Lösung die vielleicht in einem Jahr schon wieder nicht die beste ist. Viele Unternehmen sind im ständigen Angstzustand, Angst vor Veränderung. Change-Management ist eigentlich ein Dauerzustand, Veränderung ist Leben, Stabilität gibt es in diesem Sinne nicht. Das Ankämpfen gegen diese Veränderungen verursachen Leiden und Organisationen tun gut daran, diese Realität so anzunehmen.

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Danke Diego für deine Zeit und das wertvolle Teilen!